Reiseprojekte, Gedanken und was es sonst noch gab

Monat: März 2014

John Mayall im Anker zu Leipzig

Der Frühling ist nun endgültig da – man kann wieder zur Mucke radeln – quer durch Leipzig und doch sind es nur um die acht Kilometer.
Der Anker schließt. Er ist marode und muss für über 3 Mio saniert werden. Angeblich besteht die Gefahr, dass einem Dachbalken auf den Kopf fallen. Ende des Jahres soll der Saal wieder öffnen. Die Küche reicht Fettbemmen und mit Ei belegte Brote. Ich überlege noch, ob ich bei Jan Böhmermann heute Abend im Werk 2 doch besser aufgehoben gewesen wäre – aber wie sich herausstellen wird, habe ich alles richtig gemacht!
Zum großen Finale hat man sich eine Legende eingeladen. Auf die Bühne kommt ein etwas klapprig wirkender Herr – er ist vor einem Vierteljahr 80 geworden (deshalb auch der Tour-Titel). Was dann aber in den nächsten zwei Stunden passiert kommt einer Metamorphose gleich. Er spielt, erzählt, hüpft, headbangt mit einer Vitalität die mehr als erstaunlich ist. Im März und April spielt er knapp fünfzig Auftritte in ganz Europa.

Ticket - John Mayall im Anker zu Leipzig

Ticket – John Mayall im Anker zu Leipzig


John Mayall ist der Chef auf der Bühne. Er spielt Keyboard, Gitarre und Mundharmonika – fast ohne Pause. Begleitet wird er von zwei Gitarristen. Mich wundert immer wieder, welche Dynamik manche beleibte ältere Herren an der Gitarre entwickeln können, wenn sie einmal los gelassen werden – Rocky Athas heißt ein mehr als überzeugender Vertreter dieser Gattung Musiker. Das andere Extrem ist der Bassist Greg Rzab – sehr zurückhaltend in seinem Spiel, stets smart lächelnd – aber er weiß, was er drauf hat und wartet auf seine Momente, die er dann auch ausgiebig auskostet. Power geht vom Schlagzeuger Jay Davenport aus. Wie eine alte Lock stampft er durch die klassischen Blues-Rhythmen. Kleiner Höhepunkt ist, als John Mayall seinen Neffen mit Saxophon auf die Bühne bittet. Er bringt den Shuffel nochmal richtig auf Touren – leider nur für diesen einen Song. Ich komme so nach ca. 60 Minuten in dieses typische Konzertfeeling. Der Körper bewegt sich von alleine,
alle anderen Gedanken verschwinden – man taucht so richtig ein in die Bassläufe und Gitarrensoli – es könnte dann ewig so weitergehen.
Greg Rzab, Jay Davenport, John Mayall, Rocky Athas (v.l.n.r)

Greg Rzab, Jay Davenport, John Mayall, Rocky Athas (v.l.n.r)


Aber viel zu schnell kommt die Zugabe – diese mal nur eine einzige – aber die Band hat alles gegeben. Ich schaue mich noch etwas im Anker um – das Haus hat in 140 Jahren viel erlebt – vieles ist mit Aushängen gut dokumentiert. Dann radle ich gut duchgeschwitzt und fröhlich nach Hause.

BAP – Gewandhaus in Leipzig

Komme gerade aus dem Gewandhaus. Bildungslücke geschlossen. Nicht mehr und nicht weniger! BAP war in Leipzig zu seiner BAP zieht den Stecker Tour. BAP unplugged durften sie es nicht nennen, das hat MTV verboten – der Begriff ist mittlerweile geschützt.

Eintrittskarte - BAP - 26.03.2014 im Gewandhaus zu Leipzig

Eintrittskarte – BAP – 26.03.2014 im Gewandhaus zu Leipzig


Das Gewandhaus ist ausverkauft. Annett und ich haben keine zusammenhängenden Plätze. Das ändert sich nach der Pause – vor der Pause hat man im Gewandhaus immer die Gelegenheit nach besseren (zusammenhängenden) Plätzen Ausschau zu halten. Unterhalb der Technik ist eigentlich immer was frei.
Es ist also ein vollkommen akustisches Konzert – das macht es für mich ein wenig langweilig – zumal ich in amerikanischen Serien in Originalfassung mehr verstehe als von den gesungenen BAP-Texten. Gerade bei einer Band, die von den Texten lebt, fehlt mir an dieser Stelle etwas.
BAP im Gewandhaus - wie im Wohnzimmer

BAP im Gewandhaus – wie im Wohnzimmer


Aber live ist live – also immer ein Erlebnis. Wolfgang Niedecken erzählt schöne Geschichten, äußert sich auch sehr demütig zum Gewandhaus. Das und seine Geschichten machen ihn sympatisch. Die Bühne ist wie ein Wohnzimmer eingerichtet – alte Teppiche, jede Menge Instrumente, die mit der Zeit auch alle zum Einsatz kommen. Das macht das Konzert spannend – herausragend der marokanischen Percussionist Rhani Krija – der bedient seine Trommeln über drei Stunden lang ausschließlich mit den Händen und hat den „Alterspräsidenten“ (so hat ihn Niedecken vorgestellt) mit seinem Schlagzeug an den Rand verdrängt. Überhaupt war ich am Ende überrascht als ich auf die Uhr schaute – die Kapelle hat uns tatsächlich fast 200 Minuten unterhalten. Alles in allem doch ein gelungener Abend auch wenn ich kaum etwas verstanden habe.

Mitch Ryder & Engerling in der Moritzbastei

Eintrittskarte Moritzbastei 18.03.2014

Eintrittskarte Moritzbastei 18.03.2014

Mitch Ryder zusammen mit Engerling in der MB – so soll also das Konzertjahr 2014 für mich beginnen. Ein alter Haudegen mit Sonnenbrille betritt die Bühne – er erinnert mich etwas an Van Morrison – aber nur vom Aussehen. Seine Musik ist unverwechselbar und professionell dreckig-galliger Blues. Wir stehen unmittelbar vor der Bühne. Livemusik ist immer etwas besonderes – steht man in Reihe 1 ist das Ganze nochmal deutlich intensiver – man kann den Musikern herrlich bei der Arbeit zusehen und bemerkt wie viele Details dazu gehören – trotzdem sieht alles spielerisch leicht aus.
Mir gefällt besonders, dass hier nicht die Legende im Vordergrund steht, sondern die Band genügend Raum erhält, richtig die Sau rauszulassen. Toll sind die beiden Gitarristen. Heiner Witte und natürlich Pitti Piatkowski – vielleicht DER ostdeutsche Gitarrist. Bei den Gitarreros wurde er geadelt. City, NO55, Modern Soul Band und Renft – der Typ hats wirklich drauf und ich stand zwei Meter neben ihm – sehr charismatisch in seinem Spiel. Am Bass überzeugte Manne Pokrandt der von Mitch mehrfach in höchsten Tönen gelobt wurde und dieser Lorbeeren mit einem ehrlichen und uneitlen Auftritt sehr gerecht wurde. Am Keybord Wolfram Bodi Bodag – der Kopf von Engerling. Am Schlagzeug gab es Support von Ronny Dehn. Den hatte man hinter einer durchsichtigen Plastikwand versteckt – muss wohl akustische Gründe haben.

Bodi Bodag, Wolfram Witte, Mitch Ryder, Pitti Piatkowski (v.l.n.r.)

Bodi Bodag, Wolfram Witte, Mitch Ryder, Pitti Piatkowski (v.l.n.r.)


Erwähnen muss ich in diesen Zusammenhang unbedingt einen Artikel in der Zeit – wer Mitch Ryder noch nicht kennt erfährt hier alles wichtige. Mir ging es so – ich hatte ihn noch nie gesehen oder gehört und fand es sehr angenehm ein ganzes Konzert mit für mich unbekannten Songs zu hören. Songs die sofort reingehen und es für mich zu einer Lust machen, diese Zeilen zu schreiben. Ein Song war mir natürlich bekannt – das war zugleich der Höhepunkt des Abends. All Along The Watchtower als Hommage an Jimi Hendrix – sehr eindrucksvoll.

Die Buchmesse in Leipzig ist immer wieder ein besonderes Erlebnis. Tausende sind unterwegs um Bücher zu spüren. Leipzig liest ist das ideale Ergänzungsprogramm für Leute, die Literatur erleben wollen, ihre Schriftsteller mal persönlich kennen lernen wollen. Annett und ich waren bei Andreas Altmann, jenem Autor, dem ich ja zum Teil zu verdanken habe, dass dieser Blog geschrieben wird. Er las aus seinem aktuellen Buch: Verdammtes Land: Eine Reise durch Palästina. Er spricht Sachen aus, die ich nicht einmal wage zu denken. Es ging um das schwierige Verhältnis zwischen Palästinenser und Israelis, dem ungerechtfertigten Platz, den die Religion in diesem Konflikt einnimmt und der Einstellung, den man als unverkrampfter Deutscher zu diesem Land und seinen Menschen haben kann.
Es war ein angenehmer Nachmittag in einem großen und sehr hohen und noblen Raum neben der Ludwig-Buchhandlung auf dem Hauptbahnhof. Auf jeden Fall weiß ich nun, welche Bücher bei mir demnächst auf der Wunschliste stehen.

Eintrittskarte - Lesung Andreas Altmann

Eintrittskarte – Lesung Andreas Altmann

Am 7.Spieltag ging es gegen das Rhein-Neckar-Team und ich musste mit den weißen Steinen gegen Fynn Bachmann (1k) spielen. Dieses Spiel stand unter dem Motto: Wie gewinnt man ein Spiel, in dem man nach dem Fuseki aussichtslos zurückliegt?
Fynn hat ein starkes San-Ren-Sei aufs Brett gezaubert – ich hechelte nur hinterher.
buli_2014_Tag7_1Nachdem er mir die Ecke oben links überlassen hatte, war der Einfluss in der Mitte übermächtig. Mir musste also im Zentrum unbedingt etwas gelingen:
buli_2014_Tag7_2Also zauberte ich drei schwache Gruppen in der Mitte hin und er versuchte zu trennen. Das war meine Chance – ich konnte den Schnittstein L7 attackieren. Und genau in dieser Situation merkte ich, dass Fynn ziemlich krampfhaft versuchte, diesen Stein zu verteidigen – wenn ihm das gelänge, kann ich im Prinzip aufgeben, da ich dann zu viele Probleme auf einmal lösen müsste. Aber warum geht er dieses Risiko? Wenn er einfach konsequent seine Anlagen ausbaut und mich Leben lässt, kann ich das auch nicht mehr aufholen. Aber wie das Leben so spielt. Ab sofort klappte bei ihm nichts mehr und mir gelang jeder Satz – ich spürte von Zug zu Zug, wie ich Zugriff auf das Spiel bekomme und am Ende musste er aufgeben.
buli_2014_Tag7_3Ich hatte alle relevanten Steine gefangen und von seinem San-Ren-Sei ist kaum etwas übrig geblieben. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung Klassenerhalt. Wir brauch aus den letzten beiden Runden noch ein Unentschieden, um sicher die Klasse zu halten – eventuell können wir uns auch zwei Niederlagen leisten – aber dann wird es haarscharf.

Nick Cave – Der Tod des Bunny Munro

Bunny_Munro
Nick Cave schreibt so wie er Musik macht. Laut, rebellisch, surrealistisch und manchmal etwas beängstigend. Dieses Buch hat wirklich das Attribut „abgefahren“ verdient. Die Handlung wäre schnell erzählt – aber Nick Cave versteht es, die Charaktere sehr genau zu zeichnen und aus Situationen, die man in einem Satz beschreiben könnte, ein ganzes Knäuel an Eindrücken, Perspektiven, Assoziationen zu knüpfen. Auf den ersten Seiten denkt man „oh – da legt aber einer in einem Tempo los, was schwer zu halten sein wird“. Aber da täuscht man sich. Obwohl man das ganze Buch über ahnt, wie die Sache ausgeht, bleibt es doch spannend und wird nie ermüdend.
Den Hauptheld Bunny Munro begleitet die gesamte Geschichte sein neunjähriger Sohn. Das hat es für mich besonders intensiv gemacht. Als Vater eines gleichaltrigen Kindes will man eigentlich immer wieder am liebsten eingreifen. Das Leben führt die Lebenden in die unmöglichsten Situationen und es geht immer weiter und auch der Junge schafft sich in dieser Gegenwart ohne Zukunft seine Welt und seine Motivation das vor ihm liegende „zu schaffen“. Das ganze Buch baut darauf auf, gewisse Situationen immer in der Perspektive von Vater UND Sohn zu erzählen.
Ich hoffe, dass Nick Cave es weiter schafft, so gut Musik zu machen wie er schreibt und dass er weiterhin so gut schreibt, wie er Musik macht.
 

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